Das Vorwort eines Stadtoberhaupts im amtlichen Teil eines Stadtanzeigers sollte den Fokus auf die Belange der Stadt und ihrer Ortsteile legen. In Stollberg gibt es zahlreiche positive Entwicklungen, aber auch Herausforderungen, über die offen, transparent und konstruktiv diskutiert werden sollte. Das Vorwort bietet dafür einen geeigneten Platz. Platz für Dialog, Information und Motivation. Stattdessen erleben wir aber zunehmend ein Abgleiten in politische Kommentare, persönliche Wertungen und fragwürdige Vergleiche.
Ein positives Beispiel, wie ein Oberbürgermeister mit zeitgemäßer Kommunikation Menschen erreichen kann, zeigt sich in Nördlingen: Der dortige OB nutzt soziale Medien, um offen, verbindend und transparent zu informieren. Über Projekte, Perspektiven, aber auch Probleme der Stadt. Genau das vermissen viele Stollbergerinnen und Stollberger im aktuellen Vorwort. Kritik am Inhalt des Vorworts wird mittlerweile oft geäußert, darunter auch Unternehmer und potenzielle Neuansiedlungen wie dringend benötigte Ärzte und es war schon mehrfach Thema im Stadtrat. Uns erreichten zuletzt vermehrt Stimmen von Leserinnen und Lesern, dass sie diesen Teil oder gleich die gesamte Ausgabe des Heftes ignorieren.
Meinungsfreiheit heißt auch, Kritik auszuhalten
Meinungsfreiheit ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Sie gilt für alle – auch für kritische Stimmen. Vergleiche zu Diktaturen, wie sie im Vorwort angedeutet wurden, sind aus unserer Sicht unangemessen und verharmlosen das Unrecht der NS- und SED-Zeit. Eine respektvoll geäußerte Gegenmeinung ist kein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern eine gelebte Demokratie. Dabei gilt: Wer eine Meinung in dem Format öffentlich äußert, sollte auch fundiert recherchieren, belegen und somit auch sauber argumentieren. Das gilt umso mehr für eine Amtsperson.
Fehlende Belege und unpräzise Formulierungen wie „wohl“ oder „nach Medienberichten“ genügen diesem Anspruch nicht.
Übertreibungen schaden der Glaubwürdigkeit
Auch bei den Aussagen zu den zunehmend internationalen Themen wie dem großflächigen Stromausfall in Spanien sollten die Fakten stimmen. Die Behauptung, dieser sei eine direkte Folge der Energiewende und habe zahlreiche Todesopfer bzw. mehr Todesopfer als der Atomunfall in Fukushima gefordert, entspricht nicht der Realität. Laut „Welt.de“ (Bericht 29.04.2025) starben vier Menschen & laut Spiegel.de (Bericht 30.04.2025) drei Menschen infolge unglücklicher & trauriger Folge-Einzelereignisse (Kohlenmonoxid-Vergiftung, Feuer durch Kerze) aufgrund des Stromausfalls. Die genauen Ursachen und die begünstigenden Umstände des Stromausfalls werden noch ermittelt. (ingenieur.de & br24 17.5.25) Derartige Aussagen sind nicht nur sachlich unvollständig, sondern erzeugen auch unbegründete Ängste.
Debatte um Geschlecht und Selbstbestimmung
Das Bundesverfassungsgericht hat 2018 entschieden, dass es neben „männlich“ und „weiblich“ auch ein drittes Geschlecht gibt – „divers“. Daraus polemisch die Existenz von 70 Geschlechtern abzuleiten, ist irreführend. Die Debatte um geschlechtliche Vielfalt ist komplex, aber das Grundgesetz schützt das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung. Eine kritische Diskussion darüber ist legitim – solange sie auf Fakten basiert und niemand diffamiert wird. Wer über dieses Thema diskutiert, sollte sich nicht auf anekdotische Andeutungen stützen, sondern verfassungsrechtliche Grundlagen beachten.
Verantwortung für öffentliche Kommunikation
In Zeiten wachsender Unsicherheit, Desinformation und gesellschaftlicher Polarisierung tragen öffentliche Stellen eine besondere Verantwortung. Auch der Stadtanzeiger – als offizielles Organ der Stadtverwaltung – sollte ein Ort sachlicher Aufklärung, nicht der Zuspitzung sein. Es geht nicht darum, unbequeme Meinungen zu verbieten, sondern darum, sie faktenbasiert und respektvoll zu äußern.
Wenn beispielsweise auf der Facebookseite der Stadt über Vorgänge berichtet wird, die sich nachweislich als falsch herausstellen – wie etwa der angebliche Vorfall mit „nahöstlich aussehenden Männern“ in Stollberg (Beitrag vom 30.01.2025) –, dann ist eine Richtigstellung zwingend erforderlich. Geschieht dies nicht, wird das Vertrauen in die öffentliche Kommunikation beschädigt. (vgl. Freie Presse, Bericht vom 17.03.2025).
Falsche historische Parallelen und gefährliche Rhetorik
Besonders problematisch ist die pauschale Warnung, dass wir „nicht mehr weit entfernt sind“, politische Gefangene wieder in Hoheneck einzusperren. Diese Aussage relativiert das Unrecht echter Diktaturen und damit auch die unserer eigenen gesamtdeutschen Geschichte. Gleichzeitig ignoriert sie beunruhigende Aussagen aus dem politisch extremen Spektrum, welches unsere Verfassung und Demokratie aktiv bekämpft.
Fazit
Ein Vorwort im Stadtanzeiger ist eine gute Gelegenheit, Menschen zu informieren, zu ermutigen und zum Nachdenken anzuregen – mit klaren Worten, aber auch mit Augenmaß. Persönliche oder politische Einschätzungen sollten dabei mit Bedacht geäußert und von gesicherten Informationen getragen sein. Gerade in herausfordernden Zeiten kommt dem Stil der öffentlichen Kommunikation eine wichtige Rolle zu.
Wir wünschen uns, dass der Stadtanzeiger wieder stärker seinem ursprünglichen Zweck dient: die Stadtgesellschaft zu verbinden und sachlich über das Geschehen in Stollberg zu berichten.
Stollberg, 16.06.2025
teamSO – Gemeinsam für Stollberg & Ortsteile